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VON DER GEWISSHEIT - GESPRÄCH ZUM SCHREIBSPIEL

Aktualisiert: 19. Sept.

Monika Pirch zu Gast bei Frauke Ratzke im Malort Düsseldorf

15. Mai 2025 Das Schreibspiel

Kann die im Malort über Jahrzehnte erprobte Haltung und Dienende Rolle auf andere Bereiche übertragen werden? Im Modellprojekt schreib.mal.spiel wurde drei Jahre lang  Kindern und Erwachsenen erstmals ein Ort für bewertungsfreies Schreibspiel angeboten. Die Schreibfreude stand im Mittelpunkt. Die Idee dazu hatte Armin Kaster.

Nach Projektende 2019 wurde das Schreibspiel innerhalb des Malort e.V. eine Zeitlang ehrenamtlich von Katja Maechtel fortgeführt. Nach der Malort-Ausbildung bei Arno Stern führte sie als Schreibmittel den Kuli ein. Wesentlich ist für sie der Spielfluss mit dem Stift und seiner möglichen unendlichen Spur. Das Schreibspiel findet heute in einer geschlossenen Gruppe im Rahmen des Programms "Kultur und Schule" im geschützten bewertungsfreien Raum des Malorts statt. Es wird vom Kulturamt Düsseldorf unterstützt. Monika Pirch nimmt seit 2016 am Schreibort teil, hat sowohl die Pilotphase (bis 2019) bei Armin Kaster, als auch den Übergang zum Schreibspiel bei Katja Maechtel erlebt und begleitet.

„Mein Wunsch ist es, den Stift zum Laufen und die Gedanken zum Fliegen zu bringen!  Als Künstlerin und Kursleitung stelle ich mich jederzeit auf alle hier Tätigen ein, um den Erzählfluss während der gesamten Stunde aufrecht zu erhalten. Es ist notwendig, Prozesse und Phasen des Schaffens erkennen und deuten zu können, um entsprechende Handreichungen oder nonverbale Präsenz anzubieten, damit die Schreibenden nicht aus dem Spielen herausfallen, damit sie ohne Druck über die Schwelle des Anfangs hinweg kommen und Hürden im Schreib- und Zeichenprozess überwinden können. So kann sich mit der Zeit Freude darüber einstellen, unabhängig vom Urteil anderer jederzeit auf die eigene Ressource zugreifen zu können.“


Katja Maechtel, Absolventin der Kunstakademie München, Bildende Künstlerin [1], Keramikerin, Ausbildung bei Arno Stern Monika Pirch: Videokünstlerin und Filmemacherin [2], Teilnehmerin am Schreibspiel seit 2016, Autorin des Dokumentarfilms „schreib.mal.spiel“ zum Modellprojekt des Malort e.V. [3] Frauke Ratzke: Der Malort Düsseldorf [4], Gründerin Der Malort e.V. (2013-2021), Bildhauerin und Zeichnerin, Absolventin der Kunstakademie Düsseldorf, Ausbildung bei Arno Stern


Schreibspiel-Anordnung 2025 im Schreibort bei Katja Maechtel, Foto: FR
Schreibspiel-Anordnung 2025 im Schreibort bei Katja Maechtel, Foto: FR

„Die Geschichte war fertig und rund, obwohl ich die vorher nicht kannte.“ FRAUKE:  Du hast gerade im Vorgespräch das Stichwort gegeben mit künstlicher Intelligenz und dass ihr Fortschritt bedeuten kann, dass „keiner mehr Texte schreiben will“. Für dich ist es genau umgekehrt gewesen. Du bist durch das Schreibspiel  vermehrt zum Schreiben gekommen. Wir sitzen jetzt im Malort, in dem einmal pro Woche auch der Schreibort [5] stattfindet. Du nimmst seit 2016 daran teil. Gibt es ein Schlüsselerlebnis vom Schreibspiel, das du zum Einstieg erzählen kannst? MONIKA:  Ja, es gibt ein Schlüsselerlebnis, auch wenn mir das im ersten Moment noch nicht klar war, dass das ein Schlüsselerlebnis war. Im Nachgang gehört das zu meiner festen Erzählung übers Schreiben; nämlich dass ich irgendwann angefangen habe, kleine Geschichten zu schreiben, also fiktionale Geschichten mit einer Figur, die irgendwas macht und irgendwas erlebt oder irgendwelche Eigenschaften hat. Ich schrieb immer zunächst eine „Erstseite“ und dann habe ich die weggelegt und eine Geschichte angefangen, von der ich nichts wusste. Genauer gesagt habe ich keine Geschichte angefangen, sondern ich habe angefangen. Und am Ende dieser ca. 50 Minuten, die ich an diesem konkreten Stück geschrieben hatte, war eine fertige Geschichte. Die Geschichte war rund und fertig. In der, um das zu klären, was ich damit meine, in der der Schal, mit dem ich am Anfang die Figur eingeführt habe, den sie anhatte, am Ende der Geschichte tatsächlich auch Bedeutung hatte, die ich, als ich den Schal geschrieben hatte, noch nicht kannte. Das war für mich ein ganz entscheidender Moment, der mir sagte, da ist schon etwas da, was ich noch nicht kenne. Das ist offensichtlich in mir vorhanden und findet nur auf diesem Wege nach draußen. FRAUKE: Du hattest nicht die Idee, ich schreibe eine Geschichte, sondern sie tauchte auf.

MONIKA: Ich wusste, als ich ansetzte, dies ist eine fiktionale Figur. „Die Frau hatte ihren roten Schal und entschloss sich, trotz guten Wetters nach draußen zu gehen und den Hals warm zu halten.“ Das hätte so ein erster Satz sein können, der einfach kam.  Das ist in der Anlage fiktional. Und eben nicht Krickelkrakel und nicht ein Gedicht und nicht freie Assoziation und auch kein Bericht darüber, was ich heute Morgen gefrühstückt habe. Insofern, ja, wusste ich, dass ich mit etwas Fiktionalem beginne, aber ich hatte nicht die Idee, eine spezifische Geschichte zu schreiben. „Ich wollte gerne Teil dieser Versuchsanordnung sein.“[6] FRAUKE: Was hat dich ursprünglich dazu bewogen, am Schreibspiel überhaupt teilzunehmen? MONIKA: Mein generelles Interesse am Schreiben. Ich schreibe beruflich viel; vorbereitende Texte, Texte für Anträge etc., die schon etwas mit Imagination zu tun haben. Ich spreche von Anträgen für Filme oder auch Entwürfe für Filme im dokumentarischen Bereich, indem man sich auch Sachen ausdenkt, etwa um lebendige Situationen zu beschreiben. Dabei hat mich während der langen Zeit, in der ich Texte schreibe, immer wieder interessiert, wie ich die verbessern kann. Mir lag daran, dass das schöner und besser zu lesen ist. Als dann das Angebot kam, im Rahmen des Modellprojektes teilzunehmen, und es die Auswahl gab zwischen Malen und Schreiben, war für mich klar, das ist eine gute Möglichkeit, noch mal anders, freier, unbedarfter, weniger zielgerichtet in die Schreibarbeit einzusteigen und zu gucken, was da passiert, weil es an etwas angedockt hat, was für mich weiter in Frage und im Prozess stand. Ich war neugierig, wie das in einer Gruppe funktioniert. Ich wollte gerne Teil dieser Versuchsanordnung sein. „Uhrzeit, Blatt, Stift, Loslegen…Es gibt immer etwas, was schreibend zum Ausdruck kommen kann." „Es wird in einer konzentrierten Atmosphäre geschrieben und gezeichnet. Diese kann ruhig für sich oder im Dialog mit den anderen sein. Der Raum ist nur für das Schreibspiel eingerichtet. Er lenkt die Schreibenden weder durch auditive noch durch visuelle Reize ab. So kann sich jede und jeder in das Geschehen mit dem Stift auf dem eigenen Blatt vertiefen, angeregt durch die Gegenwart schreibender Erwachsener und anderer Kinder im Raum. Orientierung für die Schreibort-Leitung ist die Schreibfreude eines jeden im Umgang mit Stift und Papier.“ Katja Maechtel FRAUKE: Wie hat sich dein Verständnis vom Schreiben verändert? Was ist der größte Unterschied von damals zu heute, nachdem du das Schreibspiel seit etwa acht, neun Jahren praktiziert hast?

MONIKA: Ich hatte nie Angst vorm leeren Blatt. Und ich wusste immer, am besten schreibe  ich morgens ganz früh. Es hat sich im Schreibspiel nochmal deutlich gestärkt:  Uhrzeit, Blatt, Stift, Losschreiben…diese Klarheit. Ich muss nur anfangen und dann kommt was. FRAUKE: Das hat mit Vertrauen zu tun?

MONIKA: Das hat mit Vertrauen zu tun und damit dass das, was ich schreibe, schon da ist. Das habe ich vorhin mit der Geschichte beschrieben, die schon da ist, ich habe sie nur noch nicht geschrieben. Ich empfinde das als Potenzial, das jederzeit zum Fließen gebracht werden kann. Zwar ist nicht immer Zeit zu schreiben, Zeit zu schlafen, Zeit zu essen, Zeit sich mit Leuten zu unterhalten und so weiter. Und doch kann ich mich jederzeit mit Leuten unterhalten und ich kann jederzeit etwas essen und genauso kann ich mich jederzeit setzen und etwas zu Papier bringen, weil das sowieso da ist. Und wenn der Zeitpunkt da ist, kann es gleich losgehen. Und das ist toll,  dass ich über das Schreibspiel hinaus, stärker ins Schreiben und ins fiktionale Schreiben eingestiegen bin und überhaupt keine Angst habe, dass mir nichts einfällt. Urban Sketching + Writing Tatsächlich ‚übe‘ ich das parallel zu Aktivitäten meines Partners. Er stellt sich in die Stadt und zeichnet, was er sieht, das nennt sich „Urban Sketching“. Früher habe ich daneben gestanden und gewartet, bis er fertig ist. Er zeichnet sehr schnell. Und dann habe ich ein Büchlein mitgenommen und geschrieben, was ich sehe und auch „Urban Sketching“ gemacht. Es gibt immer etwas, was schreibend zum Ausdruck kommen kann. Ohne jegliche Sorge. Und wo ich mich jetzt dem literarischen Schreiben zugewandt habe, habe ich nie Angst, dass das aufhört. Ich merke, dass ich oft nicht die Zeit und Ruhe finde, zu schreiben. Das ist aber ein ganz anderes Problem. Und dass ich manchmal einen Moment brauche, um reinzukommen, finde ich auch normal.  Bei den ganzen alltäglichen Anforderungen, dass man das nicht anknipst, sondern es ein Momentum braucht, und auch zu wissen, ich habe jetzt eine Stunde Zeit. Oder wenn ich die Stunde nicht habe, sondern nur in der Stadt stehe und beschreibe, wie der Springbrunnen prasselt, dass es diese fünf Minuten sind, und danach ist es wieder vorbei. Diese Gewissheit, dass da immer etwas kommt und das erst mal so, wie es rauskommt, sein darf und dass ich mich diesem Text, und das ist natürlich anders als im Schreibort, später erneut zuwenden kann, wohlwollend interessiert zuwenden kann. Jetzt mache ich schon den Transfer. Im Schreibort lese ich schon mal, was ich das Mal davor geschrieben habe, weil ich gerne anknüpfen möchte, ich notiere aber nichts in alte Texte. Ich korrigiere die nicht, ich brauche die nur, um den Faden wieder aufzunehmen, um mich zu erinnern, was ich beim letzten Mal geschrieben habe. Ich brauche Sichtkontakt dazu. Der bedeutet nicht, dass ich an dem Text weiterarbeite, um ihn korrekter, vollständiger werden zu lassen. Es geht um den Faden, nicht um Korrektur. Das mache ich mit den Texten, die ich zu Hause schreibe anders. Schreiben und Zeichnen „Beim Schreibspiel erproben die Kinder, die Zusammenhänge zwischen Schreiben und Zeichnen ohne Vorgabe selbst. Sie werden dabei nicht bewertet. Das Geschriebene und Gezeichnete wird im Schreibort archiviert und unterliegt somit auch nachträglich keiner Bewertung. In den nächsten Stunden wird bei Bedarf Angefangenes fortgesetzt, solange wie für jedes Kind notwendig. Dies ermöglicht kontinuierliche Entwicklung der eigenen Interessen.“ Katja Maechtel FRAUKE: Da beschreibst du einen Unterschied zwischen dem, was hier im Schreibspiel geschieht und was du später zu Hause machst. Dass du da bewusst etwas weiterentwickelst und anders damit umgehst. Bei dir ist etwas Wichtiges ausgelöst worden durch die Teilnahme im Schreibspiel, und du kommst weiter hierhin. Welche Rolle spielt das heute? Du könntest auch sagen, jetzt weiß ich, wie es geht und jetzt brauche ich das nicht mehr. Was hält dich trotzdem dabei? MONIKA: Es ist eine Rückversicherung, dass ich jederzeit, wenn ich zum Beispiel zu Hause länger nicht schreibe, dass ich dann zu dieser Stunde, die da einfach festgelegt ist, morgens früh um halb neun, hier erscheine, mit den Kindern zusammen, und dass das genau so geht, wie all die Male vorher auch. Es sei denn, ich bin sehr müde. Dann funktioniert es für mich nicht. Das Schreibspiel verläuft sehr still und dann fehlt die Konzentration. Manchmal erscheint sie auch beim Machen, durch das Schreiben,  manchmal auch nicht. Im Pilotprojekt waren mehrere Erwachsene im Raum. Es sind außer mir im Moment acht bis zehn Kinder da (sie kommen aus einer naheliegenden Grundschule) und sie drücken sich gerne zeichnend aus. Und diese Anregung der Kinder nehme ich nicht auf, auch wenn ich hin und wieder eine Art Kritzel-Zeichnungen mache, nämlich dann, wenn ich nicht zu einem fließenden, sinngemäßen Text komme, übergangsweise. Wenn mir gerade nichts einfällt. Dann schreibe ich etwa Wörter kreuz und quer auf dem Blatt, ohne Zusammenhang. Oder ich überschreibe immer wieder; alles Sachen, die nicht aussehen wie ein normaler Fließtext, manchmal vielleicht wie ein Gedicht. Dann ist das Schreiben irgendeine Aktivität mit dem Stift, das kommt aber nicht ins Zeichnen. Mein Herkommen hat sich deshalb inzwischen abgelöst von der Aktivität der anderen. Das hat vermutlich mit der Struktur der Gruppe zu tun. Eine größere Schreibdynamik wäre für mich nochmal eine interessante Motivation, d.h. wenn ich in der Anwesenheit von anderen Schreibenden unterschiedlicher Couleur teilnehmen könnte. Somit vergleiche ich das mit dem, was ich vom Malort weiß, von den Vorgängen, Prozessen und Ereignissen. Das hier ist ereignisärmer, es ist stiller als im Malort. Meine Erfahrung ist, als mehrere schreibende Erwachsenen dabei gewesen sind, haben sich auch die Kinder stärker angeregt gefühlt, beim Schreiben zu bleiben. Zeichenhaftes und Vorschriftliches FRAUKE: Ich habe damals drei Jahre mitgeschrieben während des Modellprojektes. Ich habe beobachtet, dass die erwachsenen Teilnehmer sehr, sehr unterschiedlich mit dem Schreibspiel umgegangen sind. Es ist nicht so, dass jeder im Schreibort irgendwann anfängt, Geschichten zu schreiben. Eine Frau hat sehr viel spiegelverkehrt geschrieben. Bei mir selbst entdeckte ich – über die Jahre hinweg – ein großes Interesse am Schreibschwung, d.h. daran, Buchstaben in Schreibschrift zu schreiben und Buchstaben aneinanderzureihen. Bestimmte Verschlingungen wieder und wieder zu wiederholen. Das Handschriftliche…

MONIKA: Ja, das habe ich vorhin insofern beschrieben, dass ich dahin zurückgehe, wenn mir sonst nichts einfällt. Und das ist keine Wertung, dass das besser oder schlechter ist. Für mich ist das ein „Zurück auf Anfang“.  Die Basis, was darunter liegt, auf die ich zurückgreife. Das Geschichtenschreiben ist keine Zielsetzung. Auch heute nicht. Ich schreibe nach wie vor nicht durchgängig etwas Fiktionales, wenn ich hier bin. FRAUKE: Das halte ich für einen wesentlichen Aspekt, dass das hier möglich ist. Du kannst jederzeit zum Anfang an die Quelle zurückkehren, aus der immer etwas Frisches sprudelt, um nicht doch wieder in ein angestrengtes Ergebnis- oder Leistungsorientiertes Handeln zu kommen.  Mit dem Ansinnen, das muss jetzt mal besser werden. Hier kannst du erfahren, was kommt als Nächstes und wo führt es mich hin, ohne dass ich es steuere. Ich kann mich immer wieder überraschen lassen. MONIKA: Ja… was könnte als Nächstes sein? Mithilfe des Zurückgehens auf vorschriftliche Formen des Umgangs mit dem Schreiben. Formen, die noch nicht konkrete Buchstaben benutzen.  Um eine Anordnungen auf dem Blatt zu haben, Formen, die Schreiben vorbereiten. Hier berühre ich gelegentlich eine Meta-Ebene des Schreibens. Durch Zeichenhaftes kann sich auf dem Papier eine Struktur für weiteres Schreiben offenbaren. FRAUKE: Für mich zeigt das auch nochmal, dass das Schreiben, genau wie andere künstlerische Betätigungen oder Ausdrucksweisen, nicht aus der Reflexion entspringt. Ich denke mir was aus, dann schreibe ich das auf. So denken wir, schreibt ein Autor. MONIKA: So arbeiten Autoren ja auch.

„Ich kann das aber nicht!“ FRAUKE: Hier zeigt sich noch etwas anderes. Wir haben uns öfter darüber unterhalten, was es für uns Erwachsene bedeutet, an einem bewertungsfreien Spiel teilzunehmen, sowohl fürs Malen als auch fürs Schreiben. Was kann für andere interessant sein, das ebenfalls zu erleben? MONIKA: Das entkräftet all die Argumente von Menschen, die sagen, ich kann das aber nicht! Seit ich das mache, kann ich  mit voller Überzeugung sagen: das ist Quatsch. Also ich bin sicher, dass es Menschen gibt, die eine eher sprachliche Begabung haben, andere, die wirklich gut mit Farbe umgehen können oder wieder andere, für die Tanz einfach eine wahnsinnig wichtige Bedeutung hat. Da gibt es Vorlieben, aber dieses „Ich könnte das ja nicht!“, was man ganz oft als praktizierende Künstlerin gesagt bekommt von Menschen, die was ganz anderes machen, heute kann ich denen sicher sagen: „Doch, das kannst du!“ FRAUKE:  Und zwar nicht als gutes Zureden… „Du nimmst einem die Geduld ab“ MONIKA: Es ist ein Wissen, dass es so ist. Du kannst es, nur dein Zugang ist offensichtlich verschütt‘ gegangen. Du kannst das. Wie gesagt, es gibt darüber hinaus Menschen, die eine besondere Verfeinerung und eine Sensibilität für etwas entwickeln, die jemand anderer in der Form nicht erreicht. Aber grundsätzlich zu sagen „Da habe ich gar nichts von!“, das gibt es für mich nicht mehr. Hier im Malort wird Raum und Zeit gegeben und das ist, was man dazu braucht. Und das ist, was die meisten Menschen nicht in der Form, wie das hier gegeben ist, zur Verfügung haben. Und dazu kommt noch dieses Momentum von Geduld. Jemand der sagt, ich kann das sowieso nicht, und vielleicht zehn Minuten probiert, meinetwegen auch ein ganzes Wochenende einen Workshop macht, und nicht die Geduld hat zu sagen „ich guck mal weiter“… Da denke ich jetzt an deinen Text, wo du das beschreibst[7]: Wenn man in den Malort kommt und malen möchte, dann verpflichtet sich jeder für ein Jahr. Damit nimmst du jedem die Geduld ab, denn die Person hat dann diesen regelmäßigen Termin hier mit dir. FRAUKE:  Ich stelle mir das so vor: jemand kommt ein, zwei Monate und “stellt fest“, dass es nicht geht.  Dabei ist der Zeitraum nur nicht lang genug. Es gibt da verständlicherweise Angst vor Enttäuschung oder vielleicht davor, herauszufinden, ich habe mich die ganze Zeit geirrt! Es kann doch nicht so einfach sein! Alte Gewohnheiten und Glaubenssätze abzulegen scheint mir die größte Hürde…

MONIKA: Das hängt stark mit der Bewertung zusammen. In dem Moment, wo ich sage, ich kann das nicht, kann natürlich auch jeder, der das erste Mal malt, sagen, siehst du, funktioniert überhaupt nicht. Im Schreibspiel ist es wie im Malspiel: kein Blatt ist das Letzte. Auf dieses erste Blatt guckt nie wieder jemand, inklusive mir. Das ist vielleicht auch noch wichtig zu sagen. FRAUKE:  Und das Schreiben muss auch in deinem sonstigen Leben zu nichts Bestimmtem führen… Dennoch kann und wird diese Erfahrung viel verändern und bewirken. In deinem Fall, und in deinem Berufsleben, schreibst du heute Geschichten. Du hast ein Buch veröffentlicht. Das ist hier im Schreibspiel nicht entscheidend. Beim Malen habe ich Kinder, die außerhalb des Malortes nicht malen. Das weiß ich entweder von den Eltern oder die Kinder haben es mir selbst erzählt. Im Malort spielt es eine andere Rolle als überall sonst. Es hat nichts mit dem Malen und Schaffen zu tun, wie wir es sonst verstehen; es dient keinerlei Betrachtung und enthält keine Botschaft. Beim Schreiben gibt es ebenfalls viel zu entdecken, was Schreiben jenseits einer Mitteilung bedeuten kann, und was es zum Fließen bringt. Es führt durchaus wohin, aber das ist nicht das, was wir uns vorher vorstellen können oder müssen. MONIKA: Gerade das ist interessant.

„Weder privat noch öffentlich - genau dieser Zwischenbereich sortiert die Dinge.“ FRAUKE: Die Altersmischung haben wir schon angesprochen. Zum Schreibspiel hier kommen im Moment hauptsächlich Kinder und eine Erwachsene. Das Alter der Kinder ist relativ homogen. Es sind Kinder aus einer nahegelegenen Grundschule. Ich hatte seit Beginn des Pilotprojekts den Wunsch, auch einmal jüngere Kinder, die noch nicht in der Schule Schreiben gelernt haben, zum Schreibspiel einzuladen. Viele von ihnen haben ein großes Interesse am Schreiben oder schreiben schon etwas. Sie haben, weil sie es noch nicht formal gezeigt bekommen haben, einen anderen Zugang, offen, neugierig, unvoreingenommen. Offen für das, so stelle ich mir vor, was andere, vor allem Erwachsene, beim Schreiben im Schreibort tun. MONIKA:  Das wäre bestimmt total interessant. Dadurch, dass die Kinder im Schreibspiel oft zeichnen, gibt es diese Verbindung zum Malen. Wenn ich dieses ganze Konvolut an Äußerungen sehe, dann denke ich – aus meiner Erfahrung mit dem Schreiben heraus – geht es in all diesen Formen, wie auch im Malort, um Erzählen. Da entsteht eine eigene Erzählung, die nicht selbstreflektiert ist. Da geht es nicht um die eigene Geschichte, sondern um das eigene Erzählen, um eine Art und Weise, Dinge nach außen zu tragen. Beim Schreiben hier komme ich ganz schnell ab von einem ganz persönlichen Tagebuch-ähnlichen Schreiben, weil es die ‚Gefahr‘ gibt, dass jemand mitliest. Es gibt ein kollektives Bewusstsein, wir sind hier eine Gruppe und die stellt eine Form der Öffentlichkeit her, für das, was ich mache. Deshalb geht es nicht um persönliche Verarbeitung von etwas, sondern wirklich ums Erzählen, da ist etwas in mir ist und es findet eine Form, die jemand anderes dann lesen könnte. Lesen könnte, ohne dass es eigentlich für andere gemeint ist. Denn es gibt ein Wahrnehmen von den anderen im Raum, und genau dieser Zwischenbereich, der sortiert die Dinge. Es ist nicht super persönlich oder privat, sondern es gibt da ein übergeordnetes Bedürfnis. Und das würde ich unter Erzählen subsumieren. FRAUKE: Da passt der Begriff vom Spielen. Beim Spielen schafft sich jeder seine Welt. Man ‚erzählt‘ nicht dem Zuhörer, sondern im Beisein anderer Mitspieler. Die sind einbezogen. Wenn Malende untereinander etwas aufnehmen oder aufgreifen, was sie anspricht oder ihnen gefällt, dann fließt das in ihr eigenes Spiel mit ein. Und jeder bereichert natürlich das Spiel im gesamten Raum. So meinst du das vielleicht?  Und wenn es sicherlich sehr heilsam ist, zum Spielen zurückzufinden, so gibt es keinerlei therapeutische Absicht. MONIKA: Diese Ebene, die du jetzt ansprichst, die signalisiert uns, da ist nichts falsch mit uns.   FRAUKE: Wir haben vielleicht Sorge, dass da womöglich etwas Unbewusstes herauskommt, was ich niemandem zeigen will, und meine Schwächen oder Wunden könnten zutage treten. Auf die Weise, wie in therapeutischem Zusammenhang, gibt es das im Spiel nicht. MONIKA: Die Grenze ist da durchlässig. Und wenn ich fürchte, dass plötzlich etwas auf dem Blatt ist, was ich gar nicht zeigen und preisgeben möchte, dann ist es natürlich super, wenn ich diesen Zustand überwinde und dieser Gedanken sich auflöst und ich einfach machen kann. Mich selbst in die Lage zu versetzen, einfach schreiben zu können. Beim Malen hat man da vermutlich eher den Eindruck, man hätte eine gewisse Kontrolle. Wenn ich auf meinem Blatt losschreibe, dann kommt dieser Gedanke einfach: Gucken die anderen jetzt drauf und lesen das andere, wenn ich meine Gedanken so konkret aufs Blatt bringe? Das ist sicher auch bei den Kindern so, wenn sie schreiben. Wenn ich mich hinsetze und schreibe, heute ist echt ein scheiß Tag, weil das einfach als allererstes gesagt werden muss, dann ist dieser Gedanke im Raum: guckt da jetzt jemand drauf? Und zwar nicht im Sinne von, liest die Schreibspieldienende das, sondern der Gedanke steht da und wenn jemand vorbeigeht, könnte die Person einen Blick darauf werfen. Schreibe ich das dann oder schreibe ich das nicht? Diesen Aspekt kann ich beim Schreiben nicht negieren. Ich komme rein und es gibt oft einen Erstimpuls, zu schreiben: heute ist dies und das, jetzt bin ich hier, endlich Ruhe. Ich spüre eine Art Zensor in diesem ersten Moment. Insbesondere in diesem ersten Moment. Ich beschreibe das, um noch mal klarzumachen, dass man nicht unbedingt sofort auf eine Ebene kommt, wo das keine Rolle mehr spielt. Das ist beim Schreiben näher als beim Malen. FRAUKE: Vermutlich weil Gedanken im Spiel sind, die ausgedrückt und aufgeschrieben werden. Das geht beim Malen so nicht. Hier wird, das ist wesentlich, im Stehen gemalt. Beim Sitzen an Tischen bringen wir natürlich auch mit, was wir in anderen Situationen erlebt haben, zum Beispiel uns zu vergleichen mit Gleichaltrigen. Im Sitzen gleitet der Blick automatisch auf das Blatt des anderen. In der Schule zum Beispiel kommt hinzu, soll man nicht abgucken. MONIKA: Während wir darüber sprechen, machen wir gerade beide diese schützende Geste mit den Armen. Jeder kennt diese Geste. Diese schützende Geste vom Arm über dem Text. FRAUKE:  Das ist etwas Mitgebrachtes aus unserer Erfahrung.  Und die Frage ist, was braucht es, um diese Sorge aufzulösen? Da denke ich an die Altersmischung von zwei bis 99, so dass die Gruppe noch mehr durchmischt ist und eben nicht hauptsächlich Grundschulkinder zusammen kommen. Die Rollenzuschreibungen sind dann schnell wieder die üblichen. Dann sind die Kinder Schüler und die Dienende wird mit einer Lehrerin verwechselt. Und du als einzige Erwachsene bist ein seltsamer Gast. MONIKA: Das ist absolut so. Das auf diese sitzende Position zurückzuführen, ist auch ein total interessanter und richtiger Gedanke. Wobei Schreiben nicht im Sitzen zu machen, technisch schwierig ist. FRAUKE: Stehpulte? MONIKA: Stehpult ist eine Option, weil Schreiben an der Wand physiologisch schwierig ist. Eine altersgemischte Gruppe ist auf jeden Fall sinnvoll. Sie wirkt automatisch auf das Mindset. Als einzige Erwachsene bleibe ich eine Instanz und bin definitiv anders als alle anderen, die mitschreiben. Das hat etwas Autoritäres, z.B. wenn es mir zu laut ist, ich das gelegentlich auch äußere, weil ich mich abgelenkt fühle. Ich bin Teil der Gruppe und auch wiederum nicht. Am Anfang habe ich öfter darüber nachgedacht, wie man die Sichtbarkeit des Geschriebenen an der Wand mit in den Schreibspiel-Kontext bringen kann. Wie mit dem Geheimnis der mehreren Blätter beim Malen. Irgendjemand muss irgendwann zum ersten Mal ein zweites Blatt an ein erstes angebaut haben. Ich wäre nicht auf diese Idee gekommen. Ich bekomme ein Blatt, da male ich was drauf, nächstes Blatt. Dass ich ein weiteres Blatt wirklich brauche, weil ich größer werden möchte ist ein kreativer Schritt. Wenn ich kleine Blätter im DinA4 Format habe, wie hier im Schreibspiel, dann muss ich welche zusammenbasteln. Wer ist eigentlich beim Malen auf diese Idee gekommen? FRAUKE: Wenn eine neue Mal-Gruppe startet, kann es lange, Monate oder Jahre dauern, bis jemand dieses Bedürfnis äußert oder auf die Idee kommt. Das liegt erfahrungsgemäß vor allem daran, dass wir auf bestimmte Formate trainiert sind. Im Malort ist es umgekehrt: das Format passt sich unserem Potential an…Viele malen dort große, sogar riesige Bilder, die weit über sie hinauswachsen. In dem Waisenhaus, in dem Arno Stern zum ersten Mal Kinder hat malen lassen, da haben ursprünglich alle am Tisch gemalt. Als dann ein Kind ein größeres Format verlangte, hat er das an die Wand gepinnt. Dann wollten die anderen Kinder das ebenfalls und schließlich hat Arno Stern die Fenster zugenagelt, damit noch mehr Kinder Platz haben. In dem Zuge stelle ich mir vor, entstand auch das Anbauen, einfach, weil plötzlich ein Geschehen auf dem Bild mehr Platz brauchte und sich ausdehnte. Etwas Bestimmtes musste noch größer werden. Er hat das so gefunden, wie du deine Geschichten gefunden hast. Es sei ihm entgegengekommen, sagte er. „Trotzdem diesen Raum zu haben in einer Gemeinschaft“  MONIKA: Deshalb will ich jetzt keine konkrete Lösung bezogen auf das Schreiben andenken, weil es eine Lösung erst braucht, wenn es ein Bedürfnis gibt. Natürlich müssen beim Schreibspiel nicht exakt dieselben Formen übernommen werden, wie beim Malspiel. Sondern diese kommen, wie du jetzt beschrieben hast, aus dem Bedürfnis. Und wo ist das Bedürfnis? FRAUKE: Arno Stern hat Einiges zum Schreiben gesagt. Darüber wie Kinder, z.B. seine eigenen und andere, die nicht den üblichen Weg über das Lernen in der Schule gegangen sind und dort schreiben gelernt haben. [8] Innerhalb der Formulation, also dem natürlichen Ablauf des Malspiels, das in jedem von uns angelegt ist, kommen unsere lateinischen Buchstaben vor. Das heißt zum Beispiel als Kreis oder als Viereck, gerader Strich sich kreuzende Linien. Das ist ein automatischer Ablauf, der bei jedem geschieht, der malt, als Kind. Und da wir von Schrift umgeben sind, entdeckt das Kind Parallelen zu dem, was es gemalt hat. Sieht vielleicht den Buchstaben O und fragt, was das bedeutet. Und so passiert es dann. MONIKA: Ich erinnere mich daran – da war ich leider nicht dabei – dass Armin, im Rahmen des Schreibspiel-Pilot-Projekts in der Stadtbibliothek einer sehr viel größeren Gruppe das Schreibspiel angeboten hat. Er berichtete von einer ganz anderen Dynamik und Selbstverständlichkeit, die dabei entstand. Es gibt im Augenblick so eine Bewegung, kollektiv zu lesen. Viele Leute, die sich zum Lesen treffen, an einem bestimmten Ort und dann bringt jeder sein Buch mit und liest zur selben Zeit. Lesen in Gemeinschaft, Schreiben in Gemeinschaft. Dinge, die man eher dem Individuellen zuordnet, gemeinsam zu tun. Was auch immer das bedeutet, es ist wohl eine Selbstversicherung. Im Sinne von sich selber bestätigen, den Sinn bestätigen oder die Wichtigkeit, indem man etwas gemeinschaftlich macht. Das könnte man nochmal befragen. FRAUKE: Ich habe das miterlebt damals in der Stadtbibliothek. Mir kam daraufhin das Bild eines Schreibspiels im Hörsaal an der Uni in den Sinn, wo das noch potenziert wäre: ein geschäftiges Summen, wenn alle schreiben. Ich stelle mir vor, dass in einem klassischen Schul- oder Studienkontext, so ein Schreibspiel jeden Morgen stattfinden könnte. Zurück zur Altersmischung: Als ich damals am Schreibspiel teilnahm, und mich sehr mit einem flüssigen Schreibschwung beschäftigte, jenseits des Inhalts, da habe ich natürlich mit Schreibschrift geschrieben. Das hatte für die Kinder, speziell für ein Mädchen, das mir schräg gegenüber saß, offensichtlich eine faszinierende Wirkung. Es imitierte diesen Schreibschwung immer wieder. Und auch auf andere Weise ist für mich dies ein entscheidender Aspekt des Schreibspiels: die Möglichkeit zu erleben, wie andere genussvoll schreiben. Und nicht nur zweckmäßig, wie es im Alltag geschieht, wenn es noch geschieht, über eine Unterschrift hinaus. Ein anderes interessantes Thema tut sich da auch noch auf, das sprengt jetzt unseren Rahmen. Das ist der Unterschied zwischen Schreibschrift und Druckschrift. MONIKA: Die Kinder fragen mich ab und zu, was ich schreibe. Und weil in diesem Rahmen nicht darüber gesprochen wird, antworte ich vage. Ich frage mich, ob es vielleicht doch mal ganz gut wäre, ein paar Sätze vorzulesen. FRAUKE: Das hieße zu reflektieren, ob es sinnvoll wäre, den Schreibfluss zu unterbrechen. MONIKA: Ich könnte sagen: „Du kannst ja mal gucken!“ Meine Schrift können die Kinder aber nicht lesen, weil ich eine ausgebildete, erwachsene Schrift mit sehr vielen Eigenheiten habe, die nicht der Tafelschrift entspricht. Es ist eine schwierige Diskussion. Auch die Frage des Schreibwerkzeugs. Ich bin fast 60 und schreibe mein ganzes Leben lang mit der Hand und auch viel. Natürlich ziehe ich bestimmte Stifte anderen vor. Das fließt dann besser. Da entsteht die Frage, ob es am Ende sinnvoll wäre, wenn jeder sein eigenes Werkzeug mitbringt. Und dann gibt es Menschen, die, wenn ich sie beim Schreiben mit der Hand beobachte, in meinen Augen keine sehr ergonomische Handhaltung haben. Kann es darum gehen eine erwachsene Person, die seit 30 Jahren schreibt, dazu zu bewegen, den Stift anders zu halten? Ich denke da an die Pinselhaltung im Malort, die eine Bedeutung hat. Allerdings haben viele Erwachsene noch nicht oft einen Pinsel in der Hand gehalten, daher ist das etwas anderes als beim Schreiben. Viele Leute schreiben vielleicht deshalb nicht gerne, weil sie schreibmotorisch so ‚grumpelig‘ sind. Linkshänder haben noch mal eine ganz andere Geschichte mit der Haltung und den Stiften, die sie benutzen. FRAUKE: Im Malort gehört die Pinselhaltung dazu, weil es um spontanes Malen geht. Ich sehe, wie sehr das Malen eingeschränkt ist, wenn die Hand und der Arm mit dem Pinsel sich nicht frei und entspannt bewegen. „Im Schreibspiel gibt es griffige, neutrale Kugelschreiber in drei Farben. Eine drei Kilometer lange Spur könnte ohne Unterbrechung entstehen. Die Einfachheit der Mittel eröffnet ein großes Spiel.“ Katja Maechtel 

MONIKA: Es gibt viele Erwachsene, die mit ihrer scheinbar grumpeligen Handhaltung trotzdem sehr schnell und flüssig schreiben können. Was das Schreibzeug angeht – ich akzeptiere den Kuli [9], der da ist, auch wenn ich damit eigentlich nicht so schön schreibe, wie mit dem Füller. Er hindert mich aber auch nicht. Manchmal gleite ich total ab ins Unleserliche. Dann denke ich, dass ich gerade schludrig schreibe. Und dann fällt mir ein, ich muss es ja auch nicht noch mal lesen können. Und damit ist es auf einer Ebene egal, ob es leserlich ist oder nicht. Dann versuche ich mich zu disziplinieren, um wieder ordentlicher zu schreiben. Es behindert mich nicht, aber ich merke, dass ich manchmal rödelig schreibe mit diesem Kuli, der sehr offen ist zu allen Seiten, während so eine Feder für mich ein präziseres Schreiben ermöglicht. Sie hält sozusagen die Handschrift, gibt ihr Richtung. „Das Spiel kann mit Zeichen und Zeichnungen beginnen und zu Buchstaben und Texten führen. Es ist eine Übung für die Hand. Mit der Zeit stellt sich eine Selbstverständlichkeit ein, sich über den Stift auszudrücken – im Zeichnen und im Schreiben. In der  Konzentration auf diese Beziehung mit dem Blatt, machen die Kinder eine elementare Erfahrung.“ Katja Maechtel FRAUKE: Das sind viele spannende Themen. MONIKA: Es geht darum, wie sinnvoll die Analogie zum Malort ist. Und um den Geist, der dahinter steht.

„Bewertungsfrei heißt im Schreibort vor allem, das Eigene nicht zu bewerten.“ FRAUKE: Um zusammenzufassen, was es braucht: da ist der geschützte Raum, in dem nicht bewertet wird. Und dieses Bedienen, also dass da einer ist. Es gibt im Schreibspiel nicht so viel zu bedienen, das Blatt wird gebracht. MONIKA: Armin hat immer sehr viel gespitzt [10]. Das hörte man dann auch. FRAUKE: Im Wesentlichen diesen Raum und die Altersmischung, die augenblicklich begrenzt ist. MONIKA: Aus meiner Erfahrung damit, dass die Altersmischung die meiste Zeit nicht gegeben ist, sind vor allem Raum und Zeit wichtig. Die Bewertungsfreiheit ist total gegeben, weil es niemand anders sehen kann, anders als beim Malen.  Bewertungsfrei heißt im Schreibort, so wie ich es jetzt erfahre, vor allen Dingen, sich selbst nicht zu bewerten. Das ist sehr stark. Ich muss das nie wieder lesen, was ich da von mir gegeben habe, denn es ist nur jetzt im Moment da, es macht überhaupt keinen Sinn, zu bewerten, weil es in nächsten Moment auch schon wieder weg ist [11]  Das Bewertungsfreie bedeutet beim Schreibort ganz stark, dass es außer mir niemand sieht, es aber dennoch nicht im Privaten geschrieben wird. Und für die Kinder mag es noch mal stärker im Vordergrund stehen, dass niemand drauf guckt, also dass da nicht der Rotstift kommt. Das ist für mich als Erwachsene normal, es korrigiert auch zuhause niemand, wenn ich schreibe, der berufliche Kontext ausgenommen. Aber wenn ich z.B. Tagebuch schreibe, dann findet alles hauptsächlich im eigenen Kopf statt. Im Schreibort ist ganz wichtig, dass ich davon entlastet werde, und es nicht psychologisch wird, darüber haben wir schon gesprochen. Sondern es ist einfach was, in dem Moment einen Platz findet. Und weil ich es sofort wieder weglege und hierlasse, brauche ich es nicht zu bewerten. Trotzdem ist es gut, dass es da ist. Es kann sich so immer mehr das Eigentliche, was bereits vorhanden ist, zeigen.   FRAUKE: Du erlebst, wie es ist, ohne Bewertung zu schreiben. Hilft dir das auch in anderen Bereichen, nicht mehr zu bewerten und Dinge mehr geschehen zu lassen? MONIKA:  Da gibt es viele verschiedene Ebenen. Bewerte ich jetzt Dinge, die andere machen, weniger? Sicherlich stimmt das nicht für positive Beobachtungen. Ich bin nach wie vor geneigt, es Leuten zu sagen, wenn ich finde, dass sie etwas gut gemacht haben. Über Jahre ist an mich herangetragen worden, dass ich immer erst mal loben soll. Eine Wertschätzung geben. Mir als Person ist öfter angetragen worden, dass ich nicht wertschätzend genug bin, in dem Sinne, aktiv Dinge zu benennen, die ich gut fand. Und das ist ja so eine Policy, die es ganz allgemein gibt. Man hat irgendwas zusammen gemacht und dann gibt es eine Besprechung. Dann wird erst mal gesagt, was alles gut war. Und ich neige dazu, mir selbst gegenüber und anderen gegenüber zu sagen: ist ganz gut gelaufen, aber wisst ihr, bei diesem oder jenem muss man nächstes Mal unbedingt noch mal ran. Die gesellschaftliche Gesamtströmung in den letzten 15 Jahren hat mir immer wieder neu erzählt, du musst erst mal was Gutes benennen, bevor du was Kritisches sagst. Das ist eine Übung für mich, wenn irgendwas Positives passiert ist oder gut geklappt hat, dass ich das bitte auch mal laut benenne. Ich bemühe mich nach wie vor darum und habe das Gefühl, dass das für Leute oft schön ist. Ich hatte zum Beispiel in letzter Zeit oft mit Handwerkern zu tun. Wenn ich die am Ende vom Arbeitstag sage: das hat ja heute super geklappt, wie schön, Sie haben gefegt. Dann ist das für mein Gegenüber schön, wenn ich das wahrnehme und ihnen das mitteile. Und wenn ich noch eine Verbesserung wünsche, sage ich, das haben Sie gut gemacht und nächstes Mal können Sie bitte beim Fegen noch ein bisschen in den Ecken gucken. Beim Bewerten denkt man eher an die negativen Sachen… Ich denke daran, wie ich mich gegenüber anderen Leuten bewertend verhalte. Was ich bestimmt mehr mache als früher ist, dass ich Leute einfach machen lasse, auch wenn ich das anders gemacht hätte. Ich versuche insgesamt mehr, Dinge hinzunehmen. Das Wort bewertungsfrei, das ist durch meine Erfahrungen hier im Schreibort, mehr in meinen Gedanken. Ich nehme Bewertungen viel stärker wahr. Auch den negativen Impact, den das haben kann. Du siehst es sicher auch so, dass es gut und richtig ist, Sachen einfach mal zu benennen. Und in diesem Benennen ist unter Umständen ja auch schon eine Wertung. FRAUKE: Ich unterscheide zwischen Bewerten und Werten. Ein Bewerten geht in Richtung Urteilen, und Werten ist eine Einordnung entsprechend der eigenen Werte. Für diese Werte setze ich mich ein.   MONIKA: Das ist eine sehr gute und klare Unterscheidung. FRAUKE: Ich nehme Einfluss auf Verhalten, zum Beispiel im Malort, weil es Dinge gibt, die das Spiel stören und andere, die es fördern und beleben. Das ist auch eine Wertung, dies oder das geht hier nicht. Bewertungsfrei kann man auch leicht verwechseln mit „alles ist okay“. Das ist ja nicht gemeint, dass plötzlich alles okay ist, z.B. dass ich zu jederzeit alles machen kann, was ich will. Das ist nicht so einfach. MONIKA:  Das ist ein weiterer interessanter Punkt beim Thema Bewertungsfrei. Im Malort ist das eine Ermöglichung. Und Bewertungsfrei im Alltag, und das hast du jetzt wirklich nochmal super auseinandergelegt, ist eben nicht keine Werte zu haben, bedeutet eben nicht frei von Werten sein. Da ist der Unterschied unter Umständen fein, also sprachlich fein, und kann zu dieser gnadenlosen Verwechslung führen, die wir bei der anti-autoritären Erziehung zum Beispiel hatten. Diese Verwechslung, dass Freiheit bedeutet, alles zu dürfen, das hast du ja in deinem Text [12] auch nochmal sehr, sehr schön definiert. Was bedeutet eigentlich Freiheit? Da kommt man an Diskussionen, die gesellschaftlich total wichtig sind und ganz schnell über die Worte, in völlig falsche Richtungen loslaufen und immer wieder neu der Erklärung bedürfen. Weshalb ich vielleicht vorhin so lange gebraucht habe, um zu überlegen, wie wichtig und kontrovers dieses Thema Wertung ist, um jetzt mal das ‚Be‘ wegzulassen und den Wert noch drin zu haben. "Die Erkenntnisse über das Malspiel haben mir offenbart, welches Potenzial der Malort bzw. der Schreibort als wertungsfreier und generationenübergreifender Raum für ein befreites und entspanntes Agieren mit Pinsel und Stift birgt. Im Sommer 2019 habe ich das Malort-Seminar bei Arno Stern besucht, um die Funktion der dienenden Rolle zu lernen." Katja Maechtel FRAUKE: Im Mal- oder Schreibort geht es um Spontanität. Und die kann ich nicht herbei denken, die muss ich wieder fühlen, wieder erleben können. Und das Bewertungsfreie, das Nicht-Urteilen, schafft diesen Raum, in den du wieder zurückkehren kannst. Das kann jeder nur für sich erleben und geschehen lassen. Es ist wieder die Erinnerung an etwas, was schon da ist. Mit ‚bewertungsfrei‘ drückt man das aus, was nicht ist. Weil man das Eigentliche nicht so wirklich benennen kann, worum es geht, wenn nicht bewertet wird. Ein komplexes Thema. MONIKA: Ein total komplexes Thema. Wenn jemand Arno Stern sagt, dann ist „bewertungsfrei“ das erste Stichwort, das auftaucht. In der Diskussion um Arno Stern, sagte Simon Streiffels, die Bewertungsfreiheit bei Arno Stern sei radikaler als anderswo. [13] Da wird klar, dass sich jemand damit zwei bis drei Jahre beschäftigt hat, um zu verstehen, was dieses Wort bedeutet. Wenn man dann weiß, dass dieses Wort das erste ist, was Menschen einfällt, die darüber anfangen zu diskutieren, dann wird verständlich, wieso das so kontrovers ist. FRAUKE: Ich kann mich nicht erinnern, das Wort bewertungsfrei je von Arno Stern gehört zu haben. MONIKA: Tatsächlich? Das ist interessant. Das hätte ich natürlich vermutet. FRAUKE: Es ist ein Wort, das ich verwende, weil es die Leute am ehesten erreicht. MONIKA:  Ja, das ist sofort ein Marker, klar. „Nicht sofort reflektieren und einordnen“ FRAUKE: Sein Buch heißt „Wie man Kinderbilder nicht betrachten soll“[14] Darin geht es um Spontanität und um Spielen. Uns alle, ganz gleich welchen Alters, betrachtet er als Kinder. Da ist aus heutiger Sicht vieles erklärungsbedürftig. Wenn ich ‚Erwachsene‘ einladen möchte und sage, es geht ums Spielen, dann haben ich mit der Annahme zu tun, dass dies nicht so richtig ernst zu nehmen sei. Spielen im ursprünglichen Sinn wurde in die Kindheit verbannt und aus dem Lernen. Damit bleibt es in der ‚Freizeit‘, also in der Zeit, die übrig bleibt, wenn wir alles ‚Wichtige‘ erledigt haben. Spielen ist ‚nur‘ etwas für Kinder, vor allem kleine Kinder. Es wird selbst für viele Kinder abwertend zu ‚Kinderkram‘. MONIKA:  Im Erwachsenenkontext wird das Wort Spiel nur im Zusammenhang mit Sport benutzt. Fußballspiel und so weiter. FRAUKE: Und als Glücksspiel, also mit Suchtverhalten. MONIKA: Da hätte ich jetzt tatsächlich so schnell nicht dran gedacht. Du hast recht, ich habe an Sport gedacht. Sie spielen Fußball, sie spielen Tennis. Und da geht es um Wettbewerb. Spiel geschieht im Kontext von Wettbewerb. FRAUKE: Wettbewerbsfrei, so sagt Arno Stern. Ohne Wettbewerb und ohne Vergleich, das sind seine Worte.  Verschiedenheit ist grundlegend dafür, dass ich aufhöre mich zu vergleichen. Die Altersmischung im Malort ist dabei bahnbrechend. Wenn ich neben einem Dreijährigen male, kann ich mich von seiner Spontaneität anstecken lassen, ohne genauso malen zu wollen wie er. Umgekehrt kann ein junges Kind sich wertgeschätzt fühlen, allein dadurch, dass es genau dasselbe tut wie alle anderen auch. Hier wird kein Kinder-Mal-Tisch mit Kinder-Pinseln aufgestellt. Zweijährige sind erfahrungsgemäß sehr schnell in der Lage, das hochwertige Material sachgerecht und achtsam zu benutzen.  MONIKA: Für mich, wenn ich da nochmal andocke an das Bewertungsfreie, wie wir es positiv meinen und wie das trägt, dann ist für mich bewertungsfrei hauptsächlich wichtig dafür, dass Erwachsene und zunehmend auch Kinder das, was sie tun, nicht sofort reflektieren und einordnen. Das ist für mich beim Schreiben der allerwichtigste bewertungsfreie Kontext. Es ist nicht veranlasst und ich lerne, dass ich es nicht einordne oder sage, ich müsste es anders machen und mich nicht frage, ob die  Geschichte, die ich schreibe, überhaupt aktuell ist oder ob ich nicht ein Thema XY einbringen sollte oder anfange darüber nachzudenken, was das alles sein müsste oder könnte, oder wozu ich das alles überhaupt schreibe. Zutrauen FRAUKE: Vorhin hast du gesagt, dass du jetzt von Grund auf überzeugt bist, sogar weißt, dass die Fähigkeit zu schreiben in jedem steckt.  Das verändert bestimmt ebenfalls dein Verhalten anderen gegenüber? Sobald jemand sagt, ich kann nicht schreiben, verhältst du dich anders, denn du hast eine andere Haltung gewonnen und das wird sicherlich spürbar sein, ganz gleich ob es zur Sprache kommt oder nicht? MONIKA:  Ja, auf der Ebene, anderen Menschen Dinge zuzutrauen, sie mit einzubeziehen oder etwas gemeinsam zu tun, das auf jeden Fall. Dass jemand in einer gegebenen Situation etwas beitragen kann, obwohl er nichts darüber weiß. Das ist ja oft gerade interessant. Wenn ich früher dachte, zu einem Thema kann ich gar nichts sagen, dann hätte ich versucht, ein anderes Thema zu finden. Heute kann ich dann gut mein Gegenüber erzählen lassen, ohne zu denken, ich muss auf dem Gebiet jetzt auch besonders schlau sein. FRAUKE: Die Erfahrung mache ich ähnlich: es kann gerade interessant sein, anderen diesen Sprechraum zu lassen. Das hat sicher Grenzen, es ist dann kein Dialog mehr. Doch da gibt es eine Neugier, die hat mit meiner Erfahrung im Malort zu tun, was kommt da noch? Da erlebe ich, dass sich das Sprechen im Verlauf des Erzählens verändert. Druck fällt weg, Entspannung tritt ein und es kann sich eine Einzigartigkeit zu sprechen zeigen. Ich muss beim Zuhören nicht versuchen, das Gehörte zu ordnen. Ich habe zum Beispiel erlebt, wie sich das Erzählte eines Gegenübers vor meinem inneren Auge wie eine weite und vielfältige Landschaft ausbreitete. Hat sich deine Schreibspiel-Erfahrung auf andere Tätigkeiten auswirkt? Nimmt es Einfluss auf anderes in deinem Alltag? Etwa wie du Dinge angehst? MONIKA: Da schaue ich im weitesten Sinne auf den gestalterischen Bereich, in dem ich tätig bin. Aufs Filmemachen habe ich diesen Geist möglicherweise noch viel zu wenig übertragen. Es gibt da die Idee, dass ich während der Arbeit ganz viele Bälle in der Luft halte und irgendwann, kommen alle an die richtige Stelle. Und das hat etwas Spielerisches, wie ich es auch beim Schreiben im Schreibort erfahren habe. FRAUKE: Da werde ich neugierig, was du meinst. MONIKA:  Diese Leichtigkeit, die das Schreibspiel hat, die habe ich beim Filmemachen bisher nie etablieren können. Und das mag auch daran liegen, dass ich zu wenig Erfahrung habe und dass es nicht die Kontinuität hat, von der wir gesprochen haben und die es braucht, damit sich etwas entwickeln kann. Im Kontext des Filmemachens brauche ich dann dies und das und muss Anträge schreiben… FRAUKE: Da gibt es mehr Abhängigkeiten, meinst du? Ich stelle es mir genauso vor, wie bei deiner Geschichte. Da kommt die Frau mit dem Schal, das ist der Anfang und alles andere kommt dazu, wenn es das Richtige ist. MONIKA: Vor kurzem habe ich an einem Seminar von einem Filmemacher teilgenommen, der seit 30 Jahren mit seinem Bruder zusammen Filme macht. Die beiden haben diesen Raum geschaffen. Sie machen jedes Jahr oder alle zwei Jahre in einem ganz regelmäßigen Rhythmus immer denselben Film, mit derselben Kameraperson. Die müssen auch gucken, wo das Geld herkommt, dennoch haben sie diesen Raum geschaffen. Und weil klar ist, wie der Rahmen des Films aussieht und sein muss, wenn es losgeht, dann ‚arbeiten‘ die genauso. FRAUKE: Ich weiß gar nicht, ob das notwendig ist, dass der Raum schon da ist. Für mich kam zum Beispiel das Zustandekommen des Modellprojektes unseres damaligen Malortvereins, auch aus diesem Spiel-Fluss. Die großen Hürden eingeschlossen. Im Fluss-Sein heißt nicht, es plätschert alles angenehm dahin… Mir erschein es damals als eine Welle, die es zu surfen galt. Und das war für mich ganz klar, die ist riesig, aber das ist jetzt meine Welle. Im Inneren gab es dieses Gefühl, es ist möglich, obwohl Dinge dabei waren, die ich noch nie in meinem Leben gemacht habe, Dinge, die ich noch nie probiert hatte und von denen ich nie erwartet habe, sie jemals zu tun. Das war sehr herausfordernd und es gab im Innern diese Sicherheit. Da war nichts klar am Anfang.  Da geht es um das Vertrauen, dass das, was richtig ist, auch kommt. Die Frage war und ist, wie können wir darin bleiben, in dem Vertrauen, auch wenn es schwierig wird. Denn wenn wir versuchen zu kontrollieren, dann kann es nicht so gut funktionieren.

MONIKA:  Das hat sich für mich in der Stärke und in der Klarheit bisher nicht eingelöst. Möglicherweise befördert das Malen das stärker als das Schreiben. Hier sind wir noch am Anfang. FRAUKE: Und beim Malspiel kennen wir die Gesetzmäßigkeiten, die Arno Stern entdeckt hat und die jetzt, schon 70 Jahre geschehen und nachvollziehbar sind. MONIKA: Dennoch beeinflusst es ganz stark meine Gedanken und wie ich Dinge sehe. Es taucht immer wieder auf im Alltag. Damit meine ich die gesamte Gedankenwelt, die mit Schreib- und Malort verbunden ist. Das berührt mich immer wieder und ich setze es in Bezug zu anderen Dingen. Aspekte meines Lebens und Tuns sind sehr konkret verändert worden. Dazu gehört die Weiterentwicklung des Schreibens. Das hat für mich eine starke vertrauensbildende Kraft. Auch als Möglichkeit für andere Bereiche meines Lebens, wo ich es nicht eins zu eins praktiziere, wirkt das ganz stark. In meinem Arbeitsalltag praktiziere ich Schreiben aus dem Impuls, den ich hier kennengelernt habe und auf den ich seither vertraue. FRAUKE: Einerseits ist dieser neue Strang entstanden, ein Buch zu schreiben, Geschichten zu schreiben und andererseits wirkt das Schreib-Spielen auf die Texte, die du beruflich schreibst? MONIKA: Ja. FRAUKE: Und auch da stell sich mehr Leichtigkeit ein? MONIKA: Deutlich spürbar. Und ich denke an ein Schreibtraining bei einer Frau, die sagte, Schreiben sei ein Muskel. Etwas regelmäßig zu tun, dieser Vergleich mit Sport ist zwar komisch, aber wir wissen, wie unser Körper reagiert, wenn wir etwas nicht mehr machen. Es gehört dazu, immer wieder hierherzukommen und in diesem physischen Kontakt zu sein. Man kann das nicht nur denken, sondern dieser physische Kontakt, das vor Ort zu tun. Das geht einher mit einem neu gewonnenen Vertrauen und einer spielerischen Herangehensweise. Es ist vertrauensvoller und natürlicher als vorher, ich schreibe los und gucke hinterher, was weg kann und was es für welchen Zweck braucht oder nicht. Diese spielerische Vorgehensweise kann ich im Alltag gut benutzen. Aus einem Guss – Leichtigkeit des Schreibens FRAUKE: Zum Schluss möchte ich noch etwas von unseren künstlerischen Wegen einfließen lassen, die sich oft gekreuzt haben. Mir fällt ein, dass ich kürzlich selbst von deiner neuen Leichtigkeit beim Schreiben profitiert habe, nämlich als du eine kleine Rede für mich gehalten hast. Ich hatte dich erst zwei, drei Tage vor dem Ereignis angefragt und du hast ohne Zögern geantwortet, ja, klar, das mache ich. Und dann ging das, obwohl du viele andere Sachen zu tun hattest, ruck zuck. Ich nahm stark wahr, wie deine Rede in einem Wurf entstand und alles Wesentliche, was du über mein Leben, über meine künstlerische Arbeit und den Übergang zum Malort geschrieben hast, war darin enthalten. Aus einem Guss.

MONIKA:  Das war so, wie du es oft für das Malortgeschehen beschreibst: es ist ja alles da. Ich kenne deine Arbeit, ich brauche nichts zu recherchieren. Im Zweifel kann ich noch mal ein Datum nachfragen. Ich weiß, was ich über dich erzählen möchte und was alle anderen hören sollten. Es ist alles da und ich muss das nur aufschreiben. Und das heißt, alles in eine lineare Form zu bringen.  Das kann einen unruhig machen. Und das ist, was ich vorhin auch sagte: diese Unruhe, die habe ich nicht. Ich habe keine Angst vor dem weißen Blatt. Ich weiß, dass das funktioniert. Das ist ein schönes Beispiel. FRAUKE:  Es hat allen anderen Einblick gegeben und war rund. MONIKA: Ja, es hat funktioniert. FRAUKE: Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

KONTAKT: Monika Pirch: www.monika-pirch.de info@monika-pirch.de Thema Schreiben: https://www.instagram.com/m_pirch/ Erzählband: "Während wir gingen", 2024, Düsseldorf Editionen


 

[2] www.monikapirch.de, Thema Schreiben: https://www.instagram.com/m_pirch/Erzählband: "Während wir gingen", 2024, Düsseldorf Editionen

[3] „schreib.mal.spiel“, Düsseldorf 2019, www.youtube.com/watch?v=VUqFlB0xRnk

[5] Inspiriert durch den Malort ist das Schreibspiel als Pilotprojekt im Rahmen eines Modellprojektes  2016 erstmals gestartet

[6] Modellprojekt „schreib.mal.spiel.“, 2016-2019

[7] „EIN ORT JENSEITS VON RICHTIG UND FALSCHEin Gespräch von Dr. Caroline Wittig und Frauke Ratzke an der Bergischen Universität Wuppertal, 23.09.2014, aufgeschrieben im Februar 2025

[8] „La formulation et l’écriture“ in “Le jeu de peindre“, Arno Stern, Actes Sud 2011, S. 90-93

[9]Der Kugelschreiber wurde von Arno Stern eingeführt, damit jüngere Kinder zum Ende der Stunde, wenn sie etwas müde vom Malen geworden sind, auf einem Hocker sitzend, auf einem kleinen Blatt weiter malen können. Der Kugelschreiber – unterschieden von künstlerischen Werkzeugen und Stiften – erlaubt nicht nur eine ununterbrochene fließende Spur auf dem Papier, sondern auch das typische Klopfen (‚Punktili‘) oder motorische Kreisen (‚Giruli‘).

[10] Während des Pilotprojektes gab es im Schreibspiel verschiedene Stifte zur Auswahl. Das Bleistiftspitzen gehörte zu den Aufgaben des ‚Dienenden‘.

[11] Wie beim Malspiel bleiben die beschriebenen Blätter im Schreibort und werden nicht mitgenommen

[12] „EIN ORT JENSEITS VON RICHTIG UND FALSCH“ Ein Gespräch von Dr. Caroline Wittig und Frauke Ratzke

[13] “Andere pädagogische Konzepte würden auch sagen, sie sind bewertungsfrei. Dennoch ist die Bewertungsfreiheit bei Arno Stern etwas anderes. Etwas viel Radikaleres.“ Simon Streiffels im Film „schreib.mal.spiel.“, 2019

[14] Arno Stern, 2012, ZS-Verlag München

 
 
 

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