MALSPIEL: EINE STILLE UND SEHR PRÄZISE FORM DER BEZIEHUNG
- fraukemalort
- 19. Aug.
- 16 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen
Erlebnisse aus dem Malort, Übertragung der Haltung und Hintergründe des Malspiels
Gespräch mit Dr. Caroline Wittig, Oleg Yasnogorodskiy und Frauke Ratzke im Malort Düsseldorf am 10. April 2025
Caroline: Oleg, du und ich wir malen seit einem Jahr in derselben Gruppe im Malort bei Frauke. Du malst hier seit etwa zwei Jahren. Hast du von Anfang an mit deinem Sohn zusammen gemalt?
Oleg: Genau, das war der Grund. Ich habe nach einer Malschule gesucht, wo ich mit meinem fünfjährigen Sohn zusammen malen kann. Caroline: …weil du generell gerne malst, nicht wahr? Oleg: Ja, natürlich. Caroline: Und dein Sohn auch? Oleg: Ja, jetzt schon. Caroline (lacht): Das war anfangs also noch nicht so. Hast du etwas gesucht, was du gerne machst und dass ihr als gemeinsames Hobby ausüben könnt?
Oleg: Ich habe als Kind sehr gerne gemalt und ja, ich wollte selber malen. Und ich wollte auch, dass mein Sohn das ausprobiert. Und dann hatte ich durch eine Empfehlung Fraukes Malort zum ersten Mal besucht. Caroline: Und du wusstest noch nicht, was das ist? Du dachtest, es ist eine Malschule, oder? Oleg: Ich dachte, es wäre eine ‚normale‘ Malschule. Caroline: Interessant! Ihr hattet dann ein Vorgespräch? Oleg: Ich hatte, glaube ich, eine Probestunde mitgemacht. Frauke (lacht): Nee, denn die gibt es nicht. Wir haben ein Gespräch geführt. Oleg: Ja, so war es. Caroline: Und das hat dir gefallen und jetzt malt ihr zwei Jahre da. Und dein Sohn war auch durchgehend mit dabei? Oleg: Ja, genau. Caroline: Oleg, du hast die Online-Ausbildung von Arno Stern im März 2025 abgeschlossen. Da hast du schon zwei Jahre gemalt zu dem Zeitpunkt.Wie kam es zu dem Entschluss, die Ausbildung anzufangen? Oleg: Das Malen und Spielen im Malort haben mir sehr gut getan. Ich habe dort schöne und bereichernde Erfahrungen gemacht. Besonders interessant war für mich, warum es funktioniert. Ich habe auch Veranstaltungen bei Frauke besucht, in denen es um die tiefere Bedeutung dessen ging, was man dort tut. Das hat mich sehr interessiert.
Als Lehrer probiere ich gern neue Ansätze aus, vor allem solche, die ich selbst erfahren habe. So ist die Idee entstanden, eine eigene Schule zu gründen. Am Anfang stand eine methodisch-didaktische und theoretische Überlegung: Was kann ich konkret umsetzen? Ich denke, dass ein Malort Teil dieser Schule sein wird – und auch bleiben sollte. Zudem lassen sich weitere Angebote nach ähnlichen Prinzipien entwickeln. Ich bin überzeugt, dass es in diese Richtung gehen wird.
Caroline: Kamst du durch den Malort auf die Idee, eine Schule zu gründen?
Oleg: Nein. Ich wollte schon länger meine eigene Schule gründen – mit einem Konzept, das ich für richtig halte. Ich habe mich intensiv mit vielen Fragen beschäftigt und inzwischen festgestellt: Das Konzept des Malorts gefällt mir – weil es funktioniert. Es geht dabei nicht um mystische Theorien, sondern um eine Praxis, die wirkt und guttut. Ich habe das selbst erlebt – und auch bei meinem Sohn beobachtet. Ich halte es für eine sehr sinnvolle Sache. Die Reihenfolge war: eigene Schule, eigene pädagogische Ideen – vor allem neue – und dann auch Malort als ein Bestandteil.
Caroline: Du hast gesagt, der Malort ‚funktioniert‘. Was meinst du damit? Wie erlebst du das selber? Oleg: Als Kind habe ich sehr gern gemalt – mit allem Möglichen: Farben, Filzstiften, Bleistiften, Kugelschreibern und so weiter.
Irgendwann als Erwachsener wollte ich wieder zu Hause malen, aber ich hatte eine Hemmung. Ich dachte: Das wird schlecht aussehen, das ist falsch. Nach einigen Monaten im Malort habe ich mir einfach Farben gekauft und zu Hause angefangen zu malen. Es ist mir seither egal, was ich und andere von meinen Bildern halten – ich mache es, weil es mir Spaß macht. Das sehe ich auch bei meinem Sohn. Er hat seine eigenen Interessen, und ich erkenne, was ihn wirklich begeistert. Als Vater kann ich ihn in diesen Richtungen unterstützen. Ich sehe, dass er viel offener und spontaner geworden ist. Er probiert gern Dinge aus – ohne lange zu fragen, ob es „richtig“ ist. Nicht nur beim Malen, sondern generell. Und das ist eine wichtige Eigenschaft: keine Hemmungen zu haben, etwas Neues auszuprobieren.
Caroline: Was war bei der Ausbildung für dich entscheidend? Oleg: Es waren viele neue und interessante Dinge dabei.
Erstens: Man bekommt eine neue Sicht auf die Arbeit mit Kindern. Zweitens: Arno Stern hat ein System entwickelt und das pädagogische Konzept der Kunsterziehung sehr kritisch analysiert – viele Schein-Ikonen sachlich hinterfragt und kritisiert. Er hat mir auf mehreren Wegen deutlich gemacht, warum bestimmte Arten, Kinder zu unterrichten oder zu erziehen, schädlich sein können – und warum es falsch ist, Kinder vorschnell zu diagnostizieren. Natürlich muss man prüfen, ob seine Theorien noch gültig sind, denn einige Quellen sind älter. Aber vieles davon ist nach wie vor stimmig. Soweit ich es verstanden habe, geht er von einer natürlichen Entwicklung des Kindes – und des Menschen allgemein – aus. Die Quintessenz: In der klassischen Ausbildung wurde Kindern durch perspektivische Darstellung beigebracht, wie man die Welt „richtig“ zu sehen habe. Wenn man Kinder hingegen selbstständig malen lässt, entwickeln sie sich freier– auch im Spiel. So habe ich es verstanden. Dabei geht es auch um das Thema Aufheben von Bewertungen. Ich persönlich halte es für falsch, Bewertungen vollständig abzuschaffen. Zum Erwachsenwerden gehört auch, Verantwortung zu übernehmen und Dinge zu beurteilen. Gleichzeitig fand ich spannend, dass seine Theorie nicht nur hypothetisch blieb – er hat sie konkret umgesetzt. Ich sehe als Lehrer, dass man über die Bilder der Kinder tatsächlich viel über ihre Persönlichkeitsentwicklung oder mögliche Hemmungen erkennen kann. So kann man sie gezielt unterstützen. Das finde ich sehr interessant und bereichernd.
Caroline: Warum ist es schädlich, Kindern die perspektivisch korrekten Darstellungen zu zeigen und zu sagen, so muss es sein? Hat das damit zu tun, dass Kinder das aufgrund ihrer Entwicklungsphase noch gar nicht erfüllen können?
Oleg: Die Lehrpläne formulieren das Ziel, Kompetenzen zu fördern. Kompetenzen werden als Wissen und Bereitschaft definiert, dieses Wissen anzuwenden. In Wirklichkeit bekommt man aber kaum Gelegenheit, dieses Wissen in realen Situationen praktisch umzusetzen. Ein Beispiel: Wenn man im Mittelalter zum Schmied ausgebildet wurde, musste man ein echtes Pferd beschlagen – und sehen, ob es danach laufen kann oder nicht. Heute hat man nur ein Bild vom Pferd, ein Modell aus Strohhalmen, das man „Hufeisen“ nennt – und diskutiert endlos, ob es funktionieren würde. Das ist schädlich. Denn es erzieht Menschen dazu, absurde Inhalte als wahr anzuerkennen.
Caroline: Sollte es im Fach Kunst, im Bereich Kunst-Erziehung, wenn man das so nennen mag, mehr Gelegenheit geben, zu malen? Im Sinne des Malspiels und nicht als ‚Kunst‘?
Oleg: Das kann ich nicht als Fachmann beurteilen. In der Mathematik ist das ganz klar: In der Mathematikdidaktik gab es viele Strömungen, insbesondere in den USA, nachdem Schüler Freuds dorthin ausgewandert waren. Sie haben großartige Forschung betrieben. Doch vieles davon wird heute nur vorgetäuscht. Es werden keine echten mathematischen Inhalte vermittelt. Echte Beschäftigung mit Mathematik bedeutet, Dinge auszuprobieren, Vermutungen aufzustellen und Mathematik wirklich zu betreiben. Stattdessen bekommen Schüler Aufgaben wie: Eine Familie muss einen Schrank transportieren, und man soll den Winkel berechnen, um ihn um die Ecke zu bringen. Das macht doch niemand in der Realität. Viele sagen: „Ich kann Mathe, aber ich verstehe nicht, was dieser eigenartige Text von mir will.“ Und das zeigen auch Studien: Viele Abiturienten können tatsächlich keine Mathematik, weil man die Substanz durch etwas anderes ersetzt hat – und dann versucht, darum herumzureden. Die Essenz ist einfach: Der Mensch kann Dinge selbst sehen, bewerten, ausdrücken. Ob mit Pinsel, Kugelschreiber, Tastatur oder Sprache – das Medium ist egal. Und genau das kann der Malort leisten: einen Raum schaffen, in dem man frei ist, sich auszudrücken. Ich würde nicht sagen „ausprobieren“, sondern eher: die Erfahrung machen, etwas so zu zeichnen, wie man es selbst sieht. In der Malort-Ausbildung war das eine tolle Erfahrung für mich – mein Lieblingskünstler wurde als Beispiel genannt. Viele Künstler und Künstlerinnen, die ich bewundere, malen einfach, weil sie Freude daran haben. Bei der Ausstellung in Düsseldorf zu Soutine wurde gesagt: „Ich weiß nicht, welcher Strömung ich angehöre – ich liebe es einfach, und ich möchte heilen.“ Das ist für mich richtig. Jeder Mensch sollte diese Freiheit genießen können. Junge Menschen stehen unter vielen äußeren Einflüssen: Soll ich den Eltern gefallen? Soll ich es so machen wie mein Kunstlehrer? Oder wie mein Klassenkamerad? Warum kann man nicht einfach in Ruhe gelassen werden und malen dürfen? Diesen Freiraum – oder Spielraum – kann der Malort schaffen. Und den möchte ich Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gerne geben. Diesen Ansatz möchte ich auf andere Fächer übertragen. Die Haltung des Malorts lässt sich auf andere Lebensbereiche ausweiten.
Frauke: So ist es für mich: mich interessiert die Haltung des Spielens für mein gesamtes Leben. Das heißt, sobald ich spüre, dass etwas anstrengender ist als mir gut tut , frage ich mich, ob ich noch spiele. Im Spiel können große Herausforderungen bewältigt werden, dann ist Anstrengung getragen von Freude und Sinnhaftigkeit. Die Erfahrung im Malort ist dabei eine wesentliche Referenz. Dort habe ich wiederholt erfahren, wie Entscheidungen mit Leichtigkeit zustande kommen. Ich tauche den Pinsel jetzt in diese Farbe, dann in diese und dann in jene. Woher kommt dieser Impuls? Der kommt ja aus dem Inneren und dem habe ich gelernt zu vertrauen. Hier überlege ich nicht, Rot ist komplementär zu Grün, also muss ich die beiden Farben im Bild verwenden, sondern es genügt zu spüren, was mir jetzt Freude macht, sich jetzt aufdrängt von innen. Und je öfter ich das jede Woche tue und erlebe, desto klarer wird diese Referenz, wie sich das anfühlt, ‚wenn es richtig ist‘. Und wie überraschend das was herauskommt, das ‚Ergebnis‘, um das ich mich gar nicht gekümmert habe!

Caroline: Es klingt auch so, als wäre das sehr im Augenblick, also wenig zielorientiert, oder?
Frauke: Ja und doch heißt das nicht, dass ich keine Ziele mehr verfolge, Ich habe z.B. den Malort aufgebaut. Der Impuls dazu kam nicht aus strategischen Überlegungen, sondern aus einer spielerischen Neugier und Freude.
Caroline: Das muss ein Schlüsselerlebnis gewesen sein durch den Malort?
Frauke: Es hat die Erfahrung vertieft, wer bin ich ‚wirklich‘, d.h. jenseits aller Rollen, die ich habe. Als Mutter, als Tochter, als Künstlerin, als jemand, die dieses und jenes gelernt hat. Diese Dinge gehören auch zu mir, sie machen aber nicht meinen Wesenskern aus. Das ist eine wesentliche Erfahrung und ich wünsche jedem, diese Erfahrung machen zu können – zum Beispiel im Malspiel.
Caroline: Spannend, hast du das auch bei dir gemerkt, Oleg? Beim Malen oder durch die Ausbildung?
Oleg: Durch die Ausbildung ist mir vieles klar geworden. Erlebt hatte ich das auch vorher, aber ich hatte es nicht in der Tiefe reflektiert. Ich würde es so beschreiben: Man tut etwas einfach, weil man es möchte – ohne das Ziel, dass das Bild jemandem gefallen soll, ohne den Wunsch, damit Geld zu verdienen, ohne den Plan, das Wochenende „künstlerisch“ zu gestalten. Sondern ich habe einfach diese Erfahrung: Ich nehme einen Pinsel in die Hand – und mache. Ich kann es nicht erklären. Und ich finde gut, dass man es nicht erklären kann – weil man nicht alles erklären muss. Im Vortrag von Arno Stern wurde uns ein Beispiel gegeben. Für mich hatte das eine fast sakrale Bedeutung, auch weil ich jüdischer Herkunft bin. Er las aus der Schöpfungsgeschichte aus dem Alten Testament vor: Gott schuf die Erde – einfach so. Nicht, um jemandem zu gefallen. Nicht aus einem bestimmten Zweck heraus. Wenn man als religiöser Mensch an Gott glaubt, bleibt unklar, warum er es tat. Er hat einfach geschaffen. Und so ist das auch mit dem Menschen: Man kann das als „Gottesfunken“ bezeichnen – etwas in jedem Menschen, das erschaffen will. Ich finde, das ist eine sehr treffende Beschreibung.
Caroline: Frauke, von dir weiß ich, dass die Spielregeln es ermöglichen, ins Spielen hineinzukommen und sich frei auszudrücken...
Deine Sicht auf die Spielregeln würde mich jetzt bei dir, Oleg, nochmal interessieren, vor allem, da du in der Ausbildung die Regeln nicht nur malend erlebt, sondern auch theoretisch von Arno Stern erlernt hast. Hat das dein Malen verändert? Und wie wichtig findest du für deinen eigenen Malort, sich exakt an die Regeln zu halten? Könnte man auch davon abweichen?
Oleg: Ich finde die Regeln, die er uns erklärt hat, sehr sinnvoll – zum Beispiel die Pinselhaltung oder den Umgang mit Farben. Arno Stern hat die Farbauswahl damit begründet, dass viele Kinder, die über längere Zeit regelmäßig gemalt haben, bestimmte Farben bevorzugt gewählt haben. Daraus wurde das Farbspektrum so zusammengestellt, wie es heute verfügbar ist. Ich kann dazu nur sagen: Ich fühle mich sehr wohl damit. Ich habe alle Farben, die ich brauche. Einige, die ich zusätzlich brauche, kann ich mir selbst mischen – die Möglichkeit dazu besteht. Alle weiteren sind schöne, gut abgestimmte Ergänzungen. Ich habe einfach Freude daran, wenn ich im Malort bin –allein die Farben zu sehen, die außerdem gut riechen, oder mit den Pinseln zu arbeiten, die eingefärbt sind. Das hat eine besondere Atmosphäre. Es ist fast ein Ritual – und ein schönes dazu. Ich finde es auch sinnvoll, dass die Bildfläche korrekt positioniert wird. Ich verstehe, warum die Bilder in einer bestimmten Anordnung aufgehängt werden: Weil das die Interaktion zwischen den Malspielenden fördert. Wie gesagt – ich halte das Konzept für durchdacht, klug und in sich stimmig. Aus meiner Sicht gibt es nichts, das man entfernen oder ändern sollte.

Caroline: Das ist sehr überzeugend. Das ist also nicht die Folge von ‚blinder‘ Begeisterung und aufgrund einer Art emotionalen Aufregung, in der ich das alles so toll finde...
Oleg: Nein, das ist alles sehr gut gemacht. Es funktioniert – und ist zudem ressourcensparend. Gerade dadurch entsteht diese besondere Erfahrung, dass man zur Ruhe kommen kann. Dass man lernt, den Kopf abzuschalten. Dass man einfach das malt, was man wirklich malen möchte – ohne sich an Konzepte zu halten, die einem früher beigebracht wurden. Auf dieser Grundlage sind auch die Regeln begründet. Wenn ich andere Dinge tun möchte – was ich auch tue –, habe ich zu Hause meine eigenen Farben und Pinsel, so viele ich möchte. Ich finde, beides ergänzt sich hervorragend. Durch die Ausbildung habe ich viele Dinge bewusster wahrgenommen. Obwohl ich vieles davon in der Ausbildung gehört und auch für sinnvoll gehalten habe, stellt sich jetzt manchmal noch die Frage: Wie male ich eigentlich? Was sind das für Figuren, die da entstehen? Das ist auf der einen Seite interessant – ein spannender Prozess. Auf der anderen Seite würde ich mir manchmal wünschen, einige Dinge einfach vergessen zu können – zumindest für die Zeit des Malens –um sie später neu und unbelastet wiederzufinden.Was ich auch sehr schön finde: Manchmal denke ich beim Malen, wie mache ich das eigentlich? Das ist doch völlig unlogisch, wenn man so malt. Dann erinnerte ich mich an die Ausbildung – dort habe ich gelernt, so ist es natürlich. Wenn man wirklich konzeptfrei malt, also ohne geschulte Vorstellungen, dann entstehen manchmal Dinge, die unlogisch wirken – und dabei ganz natürlich sind. Tatsächlich verwenden auch viele Künstler ähnliche Methoden.Es ist völlig normal. Ich selbst wusste gar nicht, warum etwas auf meinem Blatt passiert – ich fand es einfach schön. Und als ich dann erfuhr, dass viele so arbeiten, war ich erleichtert. Ich habe mich einfach damit beschäftigt – ich male, wie ich bin. Ich hatte einige meiner privat gemalten Bilder einer Freundin gezeigt, die selbst Künstlerin ist. Sie sagte: „Du hast da etwas Eigenes – und das ist schön.“ Für meine eigene Logik machte die Wahl bestimmter Formen keinen Sinn, wenn ich etwas richtig darstellen möchte. Aber ich habe es einfach so gemacht, weil es mir Spaß gemacht hat. Und dann habe ich festgestellt: Solche Erlebnisse haben andere auch.
Caroline: Frauke, hast du beim Malen im Malort deine Bilder analysiert? Warum machst du das? Da du vorher als Künstlerin gearbeitet hast. Hattest du durch das Malspiel eine neue Haltung dazu?

Frauke: Es gab einen Übergang von meiner künstlerischen Herangehensweise vorher zum Malspiel. Anfangs auch noch hier und da der Gedanke, ist das jetzt ‚richtige‘ Formulation, male ich spontan? Doch vor allem auch eine Neugier: was von der Formulation sich bei mir zeigt, Ich habe das Wissen darüber immer als fördernd empfunden, weil das Gesehene ansteckend ist ohne den Kopf zu belasten. Die Bilder aus Arno Sterns Archiv, die wir gesehen haben, die haben meine Lust und Freude zu malen gefördert. Wenn ich hier bei mir den Teilnehmern Filme von Arno Stern zeige, dann erlebe ich oft, dass sie danach leichter in Spielen kommen und es mehr laufen lassen. Eine Art Erlaubnis. Das Gesehen dient der Orientierung und Klarheit, wahrnehmen zu können, was Spielen ist und was aus dem Verstand kommt. Caroline: Das kann ich bestätigen. Ich war bei solch einem Abend dabei und danach fiel es mir leichter, zu malen und vor allem anzufangen. Für mich war ein leeres weißes Blatt so ein Thema. Den Film zu sehen, hat mir geholfen, ins Spiel zu kommen. Das Wissen um die Formulation fand ich hilfreich. Oleg, bist du durch die Ausbildung neugierig geworden, dir noch mal deine alten Bilder anzuschauen, die du im Malort gemalt hast? Oleg: Nein, tatsächlich nicht. Dazu gibt es eine Anekdote im Fortbildungskurs: Ein Malender, der jahrzehntelang im Malort war, hatte riesige, wirklich beeindruckende Bilder gemalt – teilweise hunderte Meter lange Konstellationen. Man hatte diese Bilder später digital zusammengesetzt und ihn gefragt, ob er sie sehen möchte. Seine Antwort war: „Nein. Ich habe sie doch gesehen.“ Das fand ich sehr schön – und es zeigt viel über das Erleben im Moment. Ich selbst habe einige Bilder im Kopf, andere gar nicht mehr. Und nein – ich weiß nicht, warum. Nicht, weil sie mir egal wären. Frauke: wir haben ja die Vorstellung, wir haben ein Bild geschaffen und dann ist das ein Objekt uns gegenüber. Das ist so, dass das ja gar nicht der Reflexionen dient, sondern du erlebst es, wie ein Kind spielt mit seinen Bauplätzen, mit seinem Baggern. Und das Erleben ist das Wichtige. Je länger Menschen malen, desto mehr steht das Erleben im Vordergrund. Und dann kommt jemand gar nicht mehr in diesen Abstand: "Ich muss jetzt gucken, was ich gemacht habe", sondern lässt sich ein in dieses fließen lassen, in dieses geschehen und sich tragen lassen. Im Grunde malt er dann gar kein Bild mehr, sondern wohnt einem Naturereignis bei. Caroline: Es ist ja möglich, die Bilder später anzuschauen. Kommt das vor, Frauke?
Frauke: Es ist ein paar Mal vorgekommen, aber jetzt sehr lange nicht. Caroline: Das zeigt ja eigentlich genau das, was ihr beide eigentlich sagt, dass es
für viele keine Bedeutung hat, sich das anzuschauen.
Frauke: Meines Wissens wollen Eltern, die nicht mit ihren Kindern zusammen malen, ihren Kindern diesen Raum lassen, in den sie sich nicht einmischen oder sie schauen mehr aufs Kind, wie das aus dem Malort zurück kommt. Die Aufmerksamkeit richtet sich automatisch mehr auf das Kind, wenn es kein Produkt zum Zeigen in der Hand hält. Eine der häufigsten Rückmeldungen ist, dass Kinder oft entspannter sind danach. Und auch das ist kein ‚Ziel‘.

Caroline: Weil du ja auch Vater bist, Oleg: Inwiefern hast du dich deinem Sohn gegenüber durch das Malen verändert? War das auch schon während der Malortzeit, vor deiner Ausbildung, dass du dir darüber Gedanken gemacht hast? Oleg: Im Malort sprechen wir nicht über die Bilder. Ich hatte einmal eine Unterhaltung mit meinem Sohn, weil er aufhören wollte. Das war eine sehr interessante Erfahrung. Er war damals noch kleiner und sagte, es würde ihn stören, dass die Bildfläche zu Ende ist – das mochte er nicht. Ich sagte ihm: „Dann sag Frauke einfach Bescheid, dass du mehr Blätter brauchst.“ Er hat dann tatsächlich ein Bild bis zur Decke gemalt – und war total begeistert. Das war für ihn eine sehr wichtige Erfahrung.
Zuhause ist es anders: Er kommt zu mir und sagt: „Ich möchte jetzt malen.“ Dann bekommt er seine Bleistifte. Interessanterweise malt er im Malort mit Farben, aber zu Hause bevorzugt er Bleistifte. Er hat zuhause auch Farben ausprobiert, aber sagte dann, das sei nichts für ihn. Stattdessen möchte er jetzt Modelle aus Ton bauen – was ich als Vater großartig finde. Es ist auch für mich spannend, weil wir das gemeinsam machen können. Das Erstaunlichste, was ich durch den Malort sehen und verstehen konnte: er entwickelt sich völlig frei, unabhängig von meiner direkten Anleitung.
Caroline: Mich hat es auch sehr in Verlegenheit gebracht als ich angefangen habe im Malort, ob und wie ich das nun zu Hause mit meinem Kind machen kann. Weil wir das Gemalte als Anlass genommen haben, uns zu unterhalten. Ich setze mich jetzt oft neben meinen Sohn und helfe mit dem Material wie im Malort. Zum Beispiel spitze ich Buntstifte und bin damit auch in der dienenden Rolle. Dadurch kommen viel weniger Fragen zu den Bildern auf oder wie man etwas malen kann, was man noch nie gemalt hat. Mein Sohn erzählt gerne während er malt und zeigt mir dann das Bild. Und weil ich jetzt dabei bin, während es entsteht, ist das Zeigen weniger wichtig geworden. Das ist eine gute Möglichkeit, um zu vermeiden, dass er mich etwas fragt wie: "Gefällt es dir?"
Frauke: Es geht bei unserem Versuch, das Bild als Anlass zum Gespräch zu nehmen meistens um Verbindung. Wir wollen unser Interesse für das Kind bekunden und haben oft bewusst oder unbewusst noch andere Absichten oder Erwartungen dabei: es wäre schön, wenn mein Kind gut oder besser malen kann. Wir sind stolz, wenn unser Kind kreativ und originell ist und vieles mehr.Wenn die Verbindung anders gelingt, dann ist das Malen frei und kann sich ohne Hintergedanken entfalten. Allein, dass du neben deinem Sohn sitzt, während er malt, kommt aus der Verbindung. Und von da aus kannst du das Malen deines Sohnes einfach miterleben…vielleicht wie du einen Sonnenuntergang erlebst…als Naturereignis. Was da wirklich geschieht beim Malen, kann niemand erzählen. Es ist vielleicht leichter zu verstehen, wenn mein Kind mit dem Bagger spielt. Da komme ich kaum auf die Idee zu fragen: was hast du dir überlegt? Weil klar ist, es ist mitten im Spiel und diese Frage würde das Spiel sofort unterbrechen. Ich weise mein Kind nicht darauf hin, dass es eine tolle Fantasie hat, wenn es den Bagger fahren lässt, weil das gar keinen Sinn macht, Und genauso ist es beim Malen. Das Reflektieren und Nachdenken darüber steht dem Erleben im Weg und das Spiel hört sofort auf.
Caroline: Oleg, du sagst, dass dein Sohn durch das Anbauen mehrerer Blätter wieder Freude am Malspiel hatte. Gab es noch etwas zum Malort, über das ihr gesprochen habt?

Oleg; Mein Sohn hat sich begrenzt gefühlt in diesem Bildraum des Blattes[1]. Das sind sehr interessante Fragen, die ein Kind haben kann. Das eine Mal war es diese begrenzte Bildfläche und bei einem anderen Mal sagte er mir, es würde ihn stören, dass die Farbe fließen oder tropfen kann und da konnte ich ihn beruhigen und sagen, du kannst einfach Frauke Bescheid sagen. Das war dann ein Anlass zur Kommunikation und das nächste Mal hat er Frauke Bescheid gegeben. Anfangs war die Situation etwas unklar, weil ich noch nicht verstanden hatte, was eine dienende Rolle ist. Ich hatte gedacht, ich müsste mithelfen, weil ich als Vater dabei bin und das hat Frauke ganz schnell unterbunden. Außerdem gab es mit meinem Sohn Anlass für Gespräche, wie man höflich mit anderen Menschen spricht, eben auch, wenn jemand einen bedient und einem die Farben gibt und so weiter. Dass das auch voraussetzt, dass man nett und freundlich ist und dass man jemanden nicht herumkommandiert…. Caroline: Ja, lustig, da hat man noch viele Lernmöglichkeiten im Malort im Bereich der Kommunikation… Oleg: Ja, das stimmt. Frauke: Das Bedientwerden scheint eine große Herausforderung für viele. Und das kann ich von mir selber auch sagen, als ich es erstmals erlebt habe. Manche haben Sorge mir zu viel Arbeit zu machen, mich in Bewegung setzen zu müssen. Anfangs sind die Mal-Bedürfnisse auch nicht klar. Da gibt es viele Widerstände, denen ich begegne und es ist nicht immer so leicht, damit umzugehen. Caroline: Das ist ein großes Lern-Feld: um Hilfe bitten, Hilfe annehmen…Ich möchte eigentlich alles alleine schaffen. Oleg, in der Ausbildung habt ihr sicher auch über das bedient werden gesprochen? Oleg: Das war Thema eines Moduls: die Rolle des Dienenden – oder der Dienenden. So wie ich es verstanden habe, besteht diese Rolle darin, zwei Dinge zu erfüllen: Erstens: optimale Bedingungen für diejenigen zu schaffen, die malen oder spielen. Zweitens: durch bestimmte Handlungen eine stille, aber klare Form von Kommunikation herzustellen. Viele dieser Schritte – z. B. eine Formulierung, eine kleine Handlung –vermitteln dem Spielenden: „Ich sehe dich.“ Dadurch entfällt oft das Bedürfnis, das eigene Bild jemandem zeigen zu müssen. Wenn man etwa vorbeigeht und den Reißnagel befestigt oder einen Farbklecks entfernt, weiß jedes Kind: Es wird gesehen und wahrgenommen. So entsteht Kommunikation – zwischen den Spielenden selbst und zwischen den Spielenden und der Dienenden. Eine stille, aber sehr präzise Form der Beziehung. Caroline: Danke für das Gespräch! ZUR PERSON Oleg Yasnogorodskiy, Kontakt: redspoon_school@mailbox.org Dr. Caroline Wittig malt seit 2023 mit ihrem älteren Sohn (*2019) im Malort und ist von der Theorie des Malspiels fasziniert... Frauke Ratzke betreibt seit 2014 einen Malort (seit 2022 „Der Malort Düsseldorf“) Info und Anmeldung zum Malspiel: info@malort-duesseldorf.de www.malort-duesseldorf.de Dokumentar-Film schreib.mal.spiel, 2019, 40 min vom Malort e.V. (heute Der Malort Düsseldorf): https://www.youtube.com/watch?v=VUqFlB0xRnk
[1] Ein Blatt im Malort ist ca. 50x70cm groß. Die Größe entspricht dem menschlichen Blickfeld.
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